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"Nur die gestempelte Marke lebt"

Artikel vom 23.09.2009 aus Artikel.

Autor: Friedensreich Hundertwasser © 1997
Quelle: Briefmarkenspiegel 07/1997

Zum Auftakt der "Philatelia mit T`Card" 1997 in Köln erhielt Friedensreich Hundertwasser vom Händlerverband APHV den "Grossen Preis der deutschen Berufsphilatelie". Des Meisters Dankesrede ist es wert hier dokumentiert zu werden. Sie ist eine Liebeserklärung an die Philatelie.



Guten Abend, es ist nach dieser schönen Rede von Hans-Jürgen Wischnewski sehr schwer, etwas noch schöneres zu sagen, aber ich werde es versuchen. Wir leben in einer Zeit der Computer und Bildschirme, der Faxe und e-Mails und Fotokopien, in einer Zeit, wo selbst die Oberfläche eine Fata Morgana ist, wo sich alles in sich selbst auflöst, wo alles verschwindet. Sie wissen, wenn Sie vor einem Bildschirm sitzen und nachher abdrehen, bleibt nichts mehr übrig. In einer körperlosen Zeit ist es wichtig, dass es noch echte, wahrhaftige Briefmarken gibt.

Zweck der Briefmarke

Eine Briefmarke ist eine wichtige Sache. Obwohl sie im Format sehr klein ist, befördert sie nicht nur eine Botschaft, sie ist auch selbst eine. Briefmarken müssen wieder kostbar werden, so wie kleine Stücke vom Paradies, hergestellt wie konzentrierte kristallene Schönheit in exquisiten Techniken.

Und da muss ich meinem Vorredner Wischnewski widersprechen, denn eine Briefmarke ist doch etwas Lebendiges, und das ist so ähnlich wie bei meinen Häusern. Mir macht es nichts, wenn Architekturen, die ich gebaut habe, von Bäumen verstellt werden und man die Architektur nicht mehr sieht. Die Bäume gehen vor. Bei der Briefmarke ist es auch so: Das Leben geht vor.

Eine Briefmarke muss wieder ihren Zweck erfüllen, das heisst sie muss auf Briefen dienen. Eine echte Briefmarke muss den Menschen spüren, wenn er sie kauft, und wenn er den Leim befeuchtet. Die Briefmarke muss auf einen Brief geklebt werden. Die Briefmarke muss die dunkle Innenseite eines Briefkasten erleben. Die Briefmarke muss den Gummistempel der Post erdulden. Die Briefmarke muss die Hand des Briefträgers spüren, wenn er den Brief dem Empfänger aushändigt.

Ohne Stempel nur Attrappe

Eine Briefmarke, die nicht auf einem Brief verschickt wurde, ist keine Briefmarke. Sie hat niemals gelebt, sie ist eine Attrappe, ein Betrug. Sie ist wie ein Fisch, der nie geschwommen ist, sie ist wie ein Vogel der niemals geflogen ist. Eine Briefmarke muss als Briefmarke gelebt haben.

Nur dann, wenn das getan ist, nur dann kann die Briefmarke ein neues Leben beginnen als Sammelobjekt. Dann kann sie gebliebt und geschätzt werden für ihre Schönheit, ihre Ausserordentlichkeit und Kostbarkeit als Zeuge ferner Länder, als Botschafter und als Vermittler von Kunst und Kultur.

So wird der Briefmarkensammler, der sowieso in seiner eklatanten Bescheidenheit total unterbewertet wird, zum Sammler von Kunst. Interessant ist noch zu vermerken, dass ich als Maler, der eigentlich nur Bilder malen sollte, auch ganz grosse Sachen wie Architektur und ganz kleine Dinge wie die Briefmarken realisieren durfte und beispielgebend wirken konnte, wobei die Briefmarken zwar klein im Format aber ganz gross in der Bedeutung sind. Es ist mit ein klein wenig gelungen, die Briefmarke grösser, also bedeutender und die Architektur kleiner, also menschlicher zu machen.

Stecher und Drucker

Noch ein paar Worte. Ohne die Mitarbeit des Stechers Wolfgang Seidel, der hier unter uns ist, der auch über die vielen Jahre mein Freund geworden ist, wären die Ausführung meiner Marken in ihrer exquisiten Schönheit gar nicht möglich gewesen. Ihm gebührt ganz grosser Dank als ebenbürtiger Schöpfer. Ebenso der Österreichischen Staatsdruckerei, die mit ihrer uralten Tradition im Stahlstichverfahren diese Präzision ermöglicht hat. Es waren also drei ebenbürtige kreative Kräfte am Werk, der Maler, der Stecher und der Drucker. Es ist eigentlich ungerecht, dass nur mir ein Preis / eine Ehrung zugeteilt wird und nicht dem Stecher und dem Drucker auch.

Bewusst durch die Lupe

Man wird sich dessen erst voll bewusst, wenn die Briefmarken mit einem Vergrösserungsglass betrachtet werden. Ich habe extra verlangt, dass man an einer Vitrine in der hier präsentierten Werkschau ein Vergrösserungsglas anhängt, damit man die Feinheiten sieht. Und da hat man gesagt, na ja, die Lupe wird ja dann gestohlen werden. Dann habe ich gesagt, ach was, dann hängen wir sie an eine Kette!

Na ja, die wird trotzdem gestohlen werden. Na, das macht nichts, dann werden wir halt eine neue kaufen. Also, das ist alles was ich heute zu sagen habe. Vielen Dank!

Friedensreich Hundertwasser

Dokumentation: KölnMesse, Tonbandabschrift

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Erstversion vom 23.09.2009. Letzte Aktualisierung am 23.09.2009.